Die letzte dienstliche Beurteilung ist anhand der beruflichen Entwicklung vergleichbarer nicht freigestellter Kolleginnen und Kollegen fortzuschreiben. Aus diesem Vergleich ist die aktuelle Beurteilungsnote fiktiv zu ermitteln.
1. Ermessensentscheidung des Dienstherrn
Das Verfahren zur Erstellung der fiktiven Nachzeichnung steht im pflichtgemessen Ermessen des Dienstherrn. Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1997 darf der Dienstherr dabei „in typisierender Weise vorgehen und den Verwaltungsaufwand zur Ermittlung einer fiktiven Laufbahnentwicklung in praktikablen Grenzen halten sowie die Erörterung von Personalangelegenheiten anderer Beschäftigten auf das unvermeidliche Maß beschränken“ (BVerwG v. 10.4.1997 — 2 C 38/95 -, Rn. 28, DVBl 1998, 191). In der Zwischenzeit hat die Rechtsprechung jedoch besondere Anforderungen für die Ausübung des Ermessens des Dienstherrn bei Erstellung einer fiktiven Nachzeichnung entwickelt, deren Einhaltung nicht im Ermessen des Dienstherrn stehen und damit voll gerichtlich nachprüfbar ist (VG Frankfurt a.M. v. 4.3.2013 — 9 K 1215/12.F -, Rn. 32, openJur 2013, 19668; OVG Berlin-Brandenburg v. 6.6.2007 — OVG 6 S 6.07 -, Rn. 34, juris).
2. Anforderungen an eine fiktive Nachzeichnung
Für die Frage, ob eine fiktive Nachzeichnung im Einzelfall ermessensfehlerfrei und damit rechtmäßig ist, ist die fiktive Nachzeichnung an folgenden Anforderungen zu messen:
a) Letzte dienstliche Beurteilung
Ausgangspunkt für eine fiktiven Nachzeichnung ist grundsätzlich die letzte vor der Freistellungsphase erstellte dienstliche Beurteilung (OVG Saarlouis v. 18.4.2007 — 1 R 19/05 -, NVwZ-RR 2007, 793). Die Vorschrift des § 33 Abs. 3 S. 1 BLV spricht von der letzten „regelmäßigen dienstlichen Beurteilung“. Nach einem Urteil des VG Freiburg kann auch eine Anlassbeurteilung Grundlage einer fiktiven Nachzeichnung sein (VG Freiburg v. 21.10.2014 — 3 K 1230/12 -, Rn. 19, openJur 2014, 25217).
b) Belastbare Tatsachengrundlage
Die fiktive Nachzeichnung setzt als Prognose eine belastbare Tatsachengrundlage voraus. Die letzte dienstliche Beurteilung muss als Tatsachengrundlage daher belastbar, d.h. verwertbar sein. Je länger die dienstliche Tätigkeit ausgeübt wurde und je kürzer diese zurückliegt, desto verlässlicher ist die Tatsachengrundlage für die zu erstellende Prognose (OVG Nordrhein-Westfalen v. 5.10.2012 — 1 B 681/12 -, Rn. 23, NVwZ-RR 2013, 59). Eine dienstliche Beurteilung, die einen Zeitraum von 2 ¼ Jahre erfasst, stellt eine belastbare Tatsachengrundlage dar (VG Berlin v. 11.12.2012 — 5 L 86.12 -, Rn. 25, openJur 2015, 2590). Nach Auffassung des BVerwG fehlt eine belastbare Tatsachengrundlage, wenn zwischen der letzten dienstlichen Beurteilung und dem Stichtag, zu dem die fiktive Nachzeichnung zu erstellen ist, mehr als 16 Jahre liegen (BVerwG v. 16.12.2010 — 2 C 11.09 -, Rn. 11, DÖD 2011, 155). Das VG Düsseldorf hat bei einem Zeitraum von fast 18 Jahren zwar eine belastbare Tatsachengrundlage für eine verlässliche Prognose verneint, es aber doch als zulässig angesehen, dass auf der Grundlage der Neubildung der Vergleichsgruppe eine fiktive Leistungsnachzeichnung vorgenommen wurde (VG Düsseldorf v. 31.8.2012 — 13 L 834/12 -, Rn. 39 ff., ZfPR online 1/2013). Eine belastbare Tatsachengrundlage wurde noch bejaht bei einem Zeitablauf von 11 Jahren (OVG Saarlouis v. 18.4.2007 — 1 R 19/05 -, NVwZ-RR 2007, 793), von sieben Jahren (VG Berlin v. 11.12.2012- 5 L 86.12 -, Rn. 24 f., openJur 2015, 2590) und von acht Jahren (Hamburgisches OVG v. 25.9.2013 — 1 Bs 240/13 -, Rn. 11, openJur 2013, 40894). Je ungünstiger die zeitlichen Verhältnisse sind, desto höhere Anforderungen sind an das erforderliche Tatsachenmaterial zu stellen, das der Prognose zu Grunde liegen soll.
Keine geeignete und zulässige Tatsachengrundlage stellt eine fiktive — und damit selbst nicht reale — Beurteilung in Form einer fiktiven Nachzeichnung dar (OVG Rheinland-Pfalz v. 20.8.2012 — 2 B 10673/12.OVG -, NVwZ-RR 2012, 853).
c) Bildung der Vergleichsgruppe
Die letzte maßgebliche dienstliche Beurteilung ist anhand der beruflichen Entwicklung vergleichbarer nicht vom Dienst freigestellter Kolleginnen und Kollegen fortzuschreiben. Der Dienstherr muss daher eine Vergleichsgruppe von solchen anderen Beamtinnen und Beamten bilden. Grundsätzlich sollten diese anderen Beamtinnen und Beamten im Zeitpunkt des Beginns der Freistellung derselben Besoldungsgruppe angehört und eine vergleichbare Tätigkeit ausgeübt haben und vergleichbar beurteilt worden sein (OVG Nordrhein-Westfalen v. 5.10.2012 — 1 B 681/12 -, Rn. 28, NVwZ-RR 2013, 59; VG Frankfurt a.M. v. 4. 3.2013 — 9 K 1215/12.F -, Rn. 23, openJur 2013, 19668). Auch hinsichtlich der Einzelmerkmale sollten die Mitglieder der Vergleichsgruppe möglichst weitgehend identisch beurteilt sein; ergänzend kann auch auf zurückliegende Beurteilungen abgestellt werden (VG Frankfurt a. M. v. 4.3.2013 — 9 K 1215/12.F — Rn. 28, openJur 2013, 19668). Handelt es sich bei der maßgeblichen Beurteilung um die erstmalige Beurteilung nach einer Beförderung, so ist zu berücksichtigen, dass in solchen Fällen das im vorherigen Amt vergebene Gesamturteil aufgrund der höheren Anforderungen des Beförderungsamtes oftmals in zulässiger Weise zunächst herabgestuft wird (VGH Baden-Württemberg v. 23.3.2004 — 4 S 1165/03 -, Rn. 18 ff., openJur 2013,13276). Insoweit ist bei der Bildung der Vergleichsgruppe darauf zu achten, dass die zum Vergleich heranzuziehenden Beamtinnen und Beamten sich hinsichtlich ihrer letzten Beurteilung in einer vergleichbaren Situation nach einer Beförderung befanden. Im Zusammenhang mit einem Personalauswahlverfahren kann eine Mitbewerberin oder ein Mitbewerber nicht in die Vergleichsgruppe mit einbezogen werden (VG Berlin v. 11.12.2012 — 5 L 86.12 -, Rn. 28, openJur 2015, 2590).
Eine belastbare Tatsachengrundlage muss auch für die Bildung der Vergleichsgruppe bestehen, anhand deren Leistungsentwicklung auf die fiktive Leistungsentwicklung des zu beurteilenden Beamten geschlossen werden soll. Es müssen daher ausreichende Erkenntnisse vorliegen, dass zum Zeitpunkt der Freistellung eine Gruppe zumindest einiger anderer Beamtinnen und Beamten vorhanden war, die derselben Besoldungsgruppe angehörten, eine vergleichbare Tätigkeit ausübten und vergleichbar beurteilt worden waren. Schließlich muss die weitere berufliche und leistungsmäßige Entwicklung der Vergleichsgruppe den Schluss auf ihren gegenwärtigen Leistungsstand zulassen, dessen durchschnittliches Niveau sodann auf den zu beurteilenden Beamten zu übertragen ist (OVG Nordrhein-Westfalen v. 5.10.2012 — 1 B 681/12 -, Rn. 28, NVwZ-RR 2013, 59).
Die Vergleichsgruppe sollte möglichst bereits zu Beginn der Freistellung gebildet und dies aktenkundig gemacht werden (VV zur BLV zu § 33 Nr. 2). Den Umstand, dass die Vergleichsgruppe erst später, z.B. aus Anlass eines Bewerberauswahlverfahrens gebildet wuird, beanstandet die Rechtsprechung nicht als ermessensfehlerhaft, da dies die Zweckmäßigkeit und nicht die Rechtmäßigkeit des Vorgehens des Dienstherrn betreffe (Hamburgisches OVG v. 25.11.2013 — 1 Bs 240/13, Rn. 18, openJur 2013, 40894).
d) Änderung oder Neubildung der Vergleichsgruppe
Grundsätzlich ist die Vergleichsgruppe der ersten fiktiven Nachzeichnung beizubehalten (OVG Rheinland-Pfalz v. 20.8.2012 — 2 B 10673/12.OVG -, juris). Das gilt insbesondere bei mehreren entsprechend dem zeitlichen Rhythmus der Regelbeurteilungen zu erstellenden fiktiven Nachzeichnungen. Bei Freistellungen über einen langen Zeitraum kann es aber erforderlich werden, die Vergleichsgruppe zu ändern oder neu zu bilden (OVG Saarlouis v. 18.4.2007 — 1 R 19/05 -, NVwZ-RR 2007, 793; VGH Baden-Württemberg v. 4.7.2008 — 4 S 519/08 -, Rn. 11, openJur 2012, 60548; VG Düsseldorf v. 31.8.2012 — 13 L 834/12 -, Rn. 42, ZfPR online 1/2013). Das gilt insbesondere, wenn Beamtinnen oder Beamte aus der Vergleichsgruppe durch Ruhestand oder Versetzung ausscheiden. Auch bei einer Beförderung der freigestellten Beamtin oder des freigestellten Beamten im Freistellungszeitraum kann es erforderlich sein, eine neue Vergleichsgruppe zu bilden (VG Düsseldorf v. 31.8.2012 — 13 L 834/12 -, Rn. 48 f., ZfPR online 1/2013).
e) Berücksichtigung der während der Freistellung ausgeübten Tätigkeit
Nicht zulässig ist es, Bewertungen der Tätigkeit eines freigestellten Personalratsmitgliedes, einer freigestellten Vertrauensperson schwerbehinderter Menschen oder einer Gleichstellungsbeauftragten in die fiktive Nachzeichnung positiv oder negativ mit einfließen zu lassen (OVG Saarlouis v. 18.4.2007 — 1 R 19/05 -, NVwZ-RR 2007, 793; VG Berlin v. 11.12.2012 — 5 L 86.12 -, Rn. 22, openJur 2015, 2590; Hamburgisches OVG v. 25.9.2013 — 1 Bs 240/13 -, Rn. 25, openJur 2013, 40894). Anders verhält es sich bei Beurlaubungen wegen einer Tätigkeit bei einer anderen Einrichtung. In diesen Fällen sind für die fiktive Nachzeichnung Beurteilungen, Dienstzeugnisse und Leistungseinschätzungen, die die Tätigkeit bei der aufnehmenden Stelle betreffen, heranzuziehen (§ 33 Abs. 3 S. 2 BLV; VV zur BLV zu § 33 Nr. 2).
f) Ermittlung der Beurteilungsnote im Rahmen der fiktiven Nachzeichnung
Bei der Fortschreibung der letzten maßgeblichen Beurteilung kann der Gesichtspunkt einer durchschnittlich zu erwartenden Leistungssteigerung im Rahmen des Vertretbaren Rechnung getragen werden (BVerwG v. 16.12.2010 — 2 C 11.09 -, Rn. 9, DÖD 2012, 155). Das sich individuell ergebende, fiktive Leistungsbild ist aber an der generellen Leistungsentwicklung der Mitglieder der Vergleichsgruppe zu messen und entsprechend einzuordnen (OVG Berlin-Brandenburg v. 6.6.2007 — OVG 6 S 6.07 -, Rn. 35, juris). Dazu ist zunächst zu ermitteln, welches Leistungsniveau die einzelnen Mitglieder der Vergleichsgruppe zum Stichtag erreicht haben. Aus den Einzelnoten der Mitglieder der Vergleichsgruppe ist das durchschnittliche Niveau des gegenwärtigen Leistungsstandes der Vergleichsgruppe zu ermitteln. Einzelne „Überflieger“ oder einzelne „Ausreißer“ nach unten sind dabei auszuklammern (OVG Saarlouis v. 18.4.2007 — 1 R 19/05 -, NVwZ-RR 2007, 793). Die sich daraus ergebenden Durchschnittsnoten werden schließlich im Wege der fiktiven Fortschreibung auf die freigestellte Beamtin oder den freigestellten Beamten übertragen (VG Düsseldorf v. 31.8.2012 — 13 L 834/12 -, Rn. 56 ff., ZfPR online 1/2013; OVG Nordrhein-Westfalen v. 5.10.2012 — 1 B 681/12 -, Rn. 28, NVwZ-RR 2013, 59; VG Frankfurt a.M. v. 4. 3.2013 — 9 K 1215/12.F -, Rn. 31 f., openJur 2013, 19668; Hamburgisches OVG v. 25.9.2013 — 1 Bs 240/13 -, Rn. 23, openJur 2013, 40894).
Nach diesem Verfahren kann sich für freigestellte Beamtinnen oder Beamte die letzte maßgebliche Beurteilung nur dann verbessern, wenn sich dies als typische Entwicklung der Mehrzahl der Vergleichspersonen darstellt. Freigestellte Beamtinnen oder Beamte können nicht verlangen, von den herausragenden Leistungen einzelner Beamtinnen und Beamten zu profitieren. Die Freistellung darf die Chancen in einem Leistungswettbewerb um ein höheres Amt nicht beeinträchtigen aber auch nicht verbessern.
g) Dokumentation der fiktiven Nachzeichnung in nicht anonymisierter Form
Die fiktive Nachzeichnung ist konkret und in nicht anonymisierter Form zu dokumentieren (OVG Nordrhein-Westfalen v. 5.10.2012 — 1B 681/12 -, Rn. 29 ff., NVwZ-RR 2013, 59; VG Frankfurt a.M. v. 4. 3.2013 — 9 K 1215/12.F -, Rn. 35 ff., openJur 2013, 19668; VG Freiburg v. 21.10.2014 — 3 K 1230/12 -, Rn. 29, openJur 2014, 25217). Die freigestellten Beamtinnen und Beamten müssen aufgrund des Gebotes der Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art 19 Abs. 4 S. 1 GG die Möglichkeit haben, die fiktive Nachzeichnung auf ihre Fehlerfreiheit zu überprüfen und ggf. Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Außerdem muss die fiktive Nachzeichnung in einem möglichen Konkurrentenstreitverfahren zur Wahrung der Bewerbungsverfahrensansprüche anderer Bewerberinnen und Bewerber gerichtlich nachprüfbar sein. Die fiktive Nachzeichnung muss hinsichtlich der Tatsachengrundlagen, der herangezogenen Beurteilungen, der Bildung der Vergleichsgruppen und des Ergebnisses nachvollziehbar sein. Dazu müssen auch die Vergleichspersonen namentlich genannt und ihr beruflicher Werdegang und ihre Leistungen offen gelegt werden.