Auswahl von Beurteilungsfehlern, die durch Widerspruch, Beurteilungsklage oder im Konkurrentenstreitverfahren gerügt werden können.
1. Unrichtiger Sachverhalt
Dienstliche Beurteilungen, die sich auf Einzelvorkommnisse oder Tatsachenbehauptungen stützen, sind fehlerhaft, wenn ihnen ein unrichtiger Sachverhalt zugrunde gelegt ist (Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) v. 26.6.1980 — 2 C 8.78 -, juris Rn. 22, BVerwGE 60, 245; BVerwG v. 17.09.2015 — 2 C 27/44 -, juris Rn 17 ff; Bundesarbeitsgericht (BAG) v. 18.8.2009 — 9 AZR 617/08 -, juris Rn. 44, BAGE 131, 367).
- Werden in dienstlichen Beurteilungen Einzelvorkommnisse konkret benannt, ist der jeweilige Sachverhalt im Streitfall auf seine Richtigkeit hin gerichtlich voll zu überprüfen. Der Dienstherr muss den Sachverhalt (die Tatsachen) darlegen und beweisen.
- Werden dienstliche Beurteilungen oder in ihr enthaltene Einzelurteile auf allgemein gehaltene Tatsachenbehauptungen gestützt, d.h. enthalten die Beurteilungen oder die Einzelurteile einen sog. Tatsachenkern, der auch für einen unbeteiligten Dritten erkennbar ist, so hat auch hier das Gericht zu überprüfen, ob der Dienstherr von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist.
2. Mangelnde Plausibilität von Werturteilen / Verstoß gegen Plausibilisierungspflicht
Beurteilerinnen oder Beurteiler sind nicht verpflichtet, dienstliche Beurteilungen mit Tatsachenfeststellungen zu unterlegen. Sie können sich auf die Abgabe von Werturteilen beschränken. Die Kontrolldichte der Gerichte richtet sich danach, wie dienstliche Beurteilungen begründet werden (BAG v. 18.8.2009 — 9 AZR 617/08 -, juris Rn. 43, BAGE 131, 367). Dienstliche Beurteilungen, die als Werturteil nicht plausibel, d.h. nicht nachvollziehbar und in sich widersprüchlich sind, sind fehlerhaft (BVerwG v. 26.6.1980 — 2 C 8.78 -, juris Rn. 22 ff., BVerwGE 60, 245; BVerwG v. 17.09.2015 — 2 C 27/44 -, juris Rn 17 ff; BAG v. 18.8.2009 — 9 AZR 617/08 -, juris Rn. 43 f., BAGE 131, 367).
- Reine Werturteile lassen nicht in einer dem Beweis zugänglichen Weise erkennen, auf welcher bestimmten Tatsachengrundlage sie beruhen. Der Dienstherr ist daher verpflichtet, allgemein oder pauschal formulierte Werturteile im Beurteilungsgespräch oder im Widerspruchsverfahren durch Erläuterungen und Konkretisierungen plausibel und nachvollziehbar zu machen (Plausibilisierungspflicht des Dienstherrn). Dazu kann der Dienstherr tatsächliche Vorgänge oder weitere Werturteile anführen. Das Gericht hat dann auf der Grundlage solcher Erläuterungen und Konkretisierungen nachzuprüfen, ob der nachgeschobene Sachverhalt richtig oder das Werturteil plausibel, nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei ist (BVerwG v. 26.6.1980 — 2 C 8.78 -, juris Rn. 23., BVerwGE 60, 245; BVerwG v. 17.09.2015 — 2 C 27/44 -, juris Rn 20).
- Die zu beurteilende Person löst die Plausibilisierungspflicht schon dann aus, wenn sie das Gesamturteil oder Einzelbewertungen als “nicht nachvollziehbar” beanstandet (OVG NRW v. 02.04.2019 — 6 B 1708/18 -, juris Rn. 22; Von der Weiden, jurisPR-BVerwG 11/2018 Anm.6). Unter Plausibilisierung ist eine inhaltliche Erklärung zu verstehen, mit der der Dienstherr für eine bereits erstellte (abgefasste) dienstliche Beurteilung die tragenden Gründe und Argumente darstellt, die zu den Werturteilen geführt haben (OVG NRW v. 02.04.2019 — 6 B 1708/18 -, juris Rn. 24; BVerwG v. 19.09.2020 — 2 C 2/20 -, juris Rn 35).
- Hält die zu beurteilende Person die dienstliche Beurteilung trotz einer Erläuterung des Dienstherrn für nicht hinreichend plausibel, liegt es an ihr, konkrete Punkte zu benennen, die sie entweder für unklar oder für unzutreffend hält (BVerwG vom 01.03.2018 — 2 A 10/17 -, juris Rn 37). Der Verpflichtung des Dienstherrn zur Plausibilisierung korrespondiert damit eine Darlegungspflicht der zu beurteilenden Person für ihren Erläuterungsbedarf. Die zu beurteilende Person hat klarzustellen, hinsichtlich welchen Werturteils und aus welchem Grund sie einen weiteren Erläuterungsbedarf sieht.
- Stützt der Dienstherr sein Werturteil auf eine „Vielzahl von Beobachtungen und Eindrücke“ vom Charakter, dem Auftreten und der Arbeitsweise der zu beurteilenden Person im Beurteilungszeitraum, so kann das Gericht nicht die Darlegung und den Nachweis einzelner Tatsachen verlangen (BVerwG v. 26.6.1980 — 2 C 8.78 -, juris Rn. 22, BVerwGE 60, 245; VGH Baden-Württemberg v. 06.04.2020 — 4 S 3207/19 -, juris Rn 12). Ansonsten müsste der Dienstherr über den gesamten Beurteilungszeitraum solche Einzelbeobachtungen und Einzelvorgänge schriftlich erfassen, was zu einem ungerechtfertigten Verwaltungsaufwand führen würde. Der Dienstherr ist aber auch hier verpflichtet, die Grundlagen der dienstlichen Beurteilung und der in ihr enthaltenen Werturteile näher zu erläutern und zu konkretisieren. Das Gericht überprüft dann die Plausibilität und Nachvollziehbarkeit der Bewertungen.
Das gilt insbesondere für dienstliche Beurteilungen, die sich für die Einzelbewertungen eines Ankreuzverfahrens ohne zusätzliche individuelle textliche Begründungen bedienen. Das BVerwG hat das sog. Ankreuzverfahren als zulässig erachtet, dafür aber bestimmte Anforderungen aufgestellt (BVerwG v. 17.09.2015 — 2 C 27.14 -, juris Rn 11; BVerwG v. 28.01.2016 — 2 A 1/14 -, juris Rn. 32; BVerwG v. 02.03.2017 — 2 C 21.16 -, juris Rn. 62). Nicht nur müssen die Bewertungsmerkmale hinreichend differenziert, die Notenstufen textlich definiert und das Gesamturteil durch entsprechende Begründung aus den Einzelbewertungen plausibel herzuleiten sein, sondern der Dienstherr muss auch auf Verlangen der zu beurteilenden Person die im Ankreuzverfahren vorgenommenen Einzelbewertungen im weiteren Verfahren plausibilisieren (OVG NRW v. 02.04.2019 — 6 B 1708/18 -, juris Rn.20).
Der Plausibilisierung kommt aber auch bei einer zentralisierten Beurteilung, die mit freitextlichen Leistungs- und Befähigungsberichten verbunden ist, die aus sich heraus keinem Notensystem zugeordnet sind, eine besondere Bedeutung zu (OVG Berlin-Brandenburg v. 14.06.2012 — OVG 6 S 53.11 -, juris Rn 17, 20).
Beruht eine dienstliche Beurteilung vollständig oder teilweise auf Beurteilungsbeiträgen Dritter, umfasst die Pflicht zur Plausibilisierung der Beurteilung auch eine Erläuterung, wie aus diesen Beiträgen die in der dienstlichen Beurteilung enthaltenen Werturteilen entwickelt wurden (BVerwG v. 01.03.2018 — 2 A 10/17 -, juris Rn 33).
Die Plausibilisierung durch den Dienstherrn ist noch im gerichtlichen Verfahren möglich, wobei dann aber Anlass bestehen kann, dass dem beklagten Dienstherrn, auch wenn er obsiegt, nach § 155 Abs. 4 VwGO die Kosten des Verwaltungsstreitverfahrens aufzuerlegen sind (BVerwG v. 17.09.2015 — 2 C 27/44 -, juris Rn 21; OVG NRW vom 02.04.2019 — 6 B 1708/18 -, juris Rn.20).
3. Unvollständiger Sachverhalt / Fehlen einer hinreichenden Tatsachengrundlage
Eine dienstliche Beurteilung hat die dienstliche Tätigkeit der zu beurteilenden Person im maßgeblichen Beurteilungszeitraum vollständig zu erfassen, wobei sie auf zuverlässliche Erkenntnisquellen gestützt werden muss (BVerwG v. 26.09.2012 — 2 A 2/10 -, juris Rn 10 f; Sächsisches OVG v. 11.11.2010 — 2 B 126/10 — juris Rn 14 f). Der dienstlichen Beurteilung fehlt die erforderliche Tatsachengrundlage und Aussagekraft, wenn sie nur auf einer partiell oder bruchstückhaft vorhandenen Kenntnis der für die Bewertung erforderlichen Tatsachen im Beurteilungszeitraum beruht (BVerwG v. 28.01.2016 — 2 A 1/14 -, juris Rn. 22; BVerwG v. 02.03.2017 — 2 C 21/16 -, juris Rn 19b).
Erst- oder Zweitbeurteiler/innen müssen das im gesamten Beurteilungszeitraum gezeigte Leistungs- und Befähigungsbild der zu beurteilenden Person nicht aus eigener Anschauung und Beobachtung gekannt haben (BVerwG v. 27.11.2014 — 2 A 10.13 — juris Rn. 25; OVG NRW v. 10.07.2015 — 1 B 1474/14 -, juris Rn 30 ff). In Fällen nur teilweise vorhandener oder gänzlich fehlender eigener Anschauung ist es aber erforderlich, dass die Beurteiler/innen sich die für die Erstellung der Beurteilung notwendigen Kenntnisse verschaffen, wobei sie sich aller verfügbaren und geeigneten Erkenntnisquellen bedienen dürfen (OVG NRW v. 10.07.2015 — 1 B 1474/14 -, juris Rn 27 ff; BVerwG v. 01.03.2018 — 2 A 10/17 -, juris Rn 26; BVerwG v. 17.09.2020 — 2 C 2/20 -, juris Rn 37). Als ERkenntnisquellen kommen vor allem Beurteilungsbeiträge oder ‑berichte sowie Inspektionsberichte in Betracht (BVerwG v. 11.12.2008 — 2 A 7.07 -, juris Rn. 13; OVG NRW v. 19.04.2011 — 6 B 35/11 -, juris Rn 30; OVG NRW v. 19.02.2016 — 6 A 2596/14 -, juris Rn. 38 f).
Dienstliche Beurteilungen sind deshalb fehlerhaft, wenn Beurteiler/innen
- sich kein eigenes vollständiges Bild von den Leistungen der zu beurteilenden Person im gesamten Beurteilungszeitraum machen konnten, weil sie nicht für den gesamten Beurteilungszeitraum unmittelbare Vorgesetzte waren oder als höhere oder höhere Vorgesetzte fungierten und damit die Tätigkeit und die Leistungen der zu beurteilenden Person nicht aus eigener Anschauung und Beobachtung kannten (BVerwG v. 26.9.2012 — 2 A 2/10 -, juris Rn. 11 ff.) und
- es versäumten, für den “nicht oder nicht ausreichend abgedeckten” Beurteilungszeitraum zuverlässige andere Erkenntnisquellen z.B. aussagekräftige Beurteilungsbeiträge früherer unmittelbarer Vorgesetzter beizuziehen (BVerwG v. 04.11.2010 — 2 C 16.09 -, juris Rn. 47; BVerwG v. 26.09.2012 — 2 A 2/10 -, juris Rn 11; BVerwG v. 16.04.2013 — 2 B 134.11‑, juris Rn 13).
Bei Beurteilungen, die mit freitextlichen Leistungs- und Befähigungsberichten arbeiten, kann es an einer hinreichenden Tatsachengrundlage fehlen. Das ist der Fall, wenn die textlichen Bewertungen aus sich heraus nicht einem Bewertungssystem (Notenstufen) zuzuordnen sind (so OVG NRW v. 10.07.2015 — 1 B 1474/14 -, juris Rn 27, 38f für das zentralisierte Beurteilungssystem des Auswärtigen Amtes; a. A. OVG Berlin-Brandenburg v. 29.04.2016 — OVG 7 S 3.16 -, juris Rn 14, wobei es nach dem OVG Berlin-Brandenburg aber erforderlich sein kann, zu den freitextlichen Berichten weitere Erkenntnisquellen hinzuzuziehen).
Der Dienstherr trägt die materielle Beweislast für die Tatsachengrundlage (BVerwG v. 02.03.2017 — 2 C 21.16 -, juris Rn 25).
4. Fehlende, inhaltlich unzureichende oder nicht berücksichtigte Beurteilungsbeiträge
Kann ein Beurteilungszeitraum nur mit Hilfe von Beurteilungsbeiträgen vollständig abgedeckt werden und werden diese nicht eingeholt, nicht berücksichtigt oder sind die Beurteilungsbeiträge inhaltlich unzureichend, sind dienstliche Beurteilungen mangels hinreichender Tatsachengrundlage fehlerhaft (BVerwG v. 26.9.2012 — 2 A 2/10 -, juris Rn. 12 und 16; BVerwG v. 27.11.2014 — 2 A 10.13 -, juris Rn 25).
- Soweit die Beurteiler/innen über keine eigenen Erkenntnisse zum Leistungs- und Befähigungsbild der zu beurteilenden Person verfügen, haben sie Beurteilungsbeiträge sachkundiger Personen einzuholen, um eine aussagekräftige Tatsachengrundlage für ihre Bewertungen zu erhalten (BVerwG v. 27.11.2014 — 2 A 10.13 -, juris Rn 22 ff; BVerwG v. 01.03.2018 — 2 A 10/17 -, juris Rn 26). Davon dürfen sie auch dann nicht absehen, wenn sie sich trotz fehlender eigener Anschauung zutrauen, die zu beurteilende Person zutreffend einzuschätzen (BVerwG v. 04.11.2010 — 2 C 16.09 -, juris Rn. 47).
- Die Beurteilerinnen und Beurteiler üben ihren Beurteilungsspielraum nur dann rechtmäßig aus, wenn sie die Beurteilungsbeiträge zur Kenntnis nehmen und in ihre Überlegungen erkennbar einbeziehen (BVerwG v. 02.03.2017 — 2 C 21.16 -, juris Rn 23; BVerwG v. 26.09.2012 — 2 A 2/10 -, juris Rn 16 für Zweitbeurteiler/in).
- Beurteilungsbeiträge müssen textlich so ausführlich und aussagekräftig gestaltet sein, dass sie eine Bewertung aller Einzelmerkmale ermöglichen (BVerwG v. 27.11.2014 — 2 A 10.13 -, juris Rn 23, 27). Für den Fall, dass der Beurteiler die dienstliche Tätigkeit der zu beurteilenden Person nicht oder nicht hinreichend aus eigener Anschauung kennt, müssen die Beurteilungsbeiträge entweder hinreichende textliche Ausführungen für die Vergabe der Einzelbewertungen enthalten oder die Einzelbewertungen selbst vornehmen. Im ersten Fall sind die Anforderungen an Umfang und Tiefe in Beurteilungsbeiträgen höher als in der dienstlichen Beurteilung selbst. Andernfalls ist insbesondere bei positiven Ausführungen in den Beurteilungsbeiträgen eine Zuordnung zu den einzelnen Stufen (Noten) der Leistungs- und Befähigungsbewertung nicht möglich (BVerwG v. 27.11.2014 — 2 A 10.13 -, juris Rn 25; BVerwG v. 01.03.2018 — 2 A 10/16 -, juris Rn 34).
5. Abweichung von Beurteilungsbeiträgen ohne nachvollziehbare Begründung
Dienstliche Beurteilungen, die von Beurteilungsbeiträgen ohne nachvollziehbare Begründung abweichen, sind fehlerhaft (BVerwG v. 26.9.2012 — 2 A 2/10 -, juris Rn. 12; BVerwG v. 27.11.2014 — 2 A 10.13 -, juris Rn 22 ff; BVerwG v. 02.03.2017 — 2 C 21.16 -, juris Rn 21 ff; BVerwG v. 01.03.2018 — 2 A 10/17 -, juris Rn 22, 26, 33 ff).
Im Einzelnen gilt folgendes:
- Beurteiler/innen sind an Beurteilungsbeiträge nicht derart gebunden, dass sie nicht davon abweichen können. Sie üben ihren Beurteilungsspielraum aber nur dann rechtmäßig aus, wenn sie die Beurteilungsbeiträge erkennbar in ihre Überlegungen einbeziehen und Abweichungen nachvollziehbar begründen (BVerwG v. 26.09.2012 — 2 A 2/10 — 2 A 2/10 -, juris Rn 12 ff; BVerwG v. 27.11.2014 — 2 A 10.13 -, juris Rn 24; BVerwG v. 28.01.2016 — 2 A 1/14 -, juris Rn 23).
- Kennen Beurteiler/innen die dienstlichen Leistungen der zu beurteilenden Person nicht — oder nicht hinreichend — aus eigener Anschauung, müssen sie sich voll auf die Beurteilungsbeiträge verlassen und können sie nur noch in das Beurteilungssystem einpassen (BVerwG v. 27.11.2014 — 2 A 10.13 -, juris Rn 25).
6. Verschlechterungen durch Zweit- oder Endbeurteiler/innen
Verschlechtern Zweit- oder Endbeurteiler in der Erstbeurteilung die Gesamtnote oder die Bewertungen von Einzelmerkmalen, so haben sie die Änderungen ausreichend und nachvollziehbar zu begründen. Das gilt auch für den Beurteilungsentwurf einer Berichterstatterin/eines Berichterstatters (OVG NRW v. 10.07.2006 — 1 B 523/06 -, juris Rn 17). Fehlt eine ausreichende und nachvollziehbare Abweichungsbegründung, ist die dienstliche Beurteilung rechtsfehlerhaft (BVerwG v. 16.09.2004 — 1 WB 21/04 -, juris Rn 8; BVerwG v. 11.12.2008 — 2 A 7.07 -, juris Rn 22 ff; OVG NRW v. 15.09.2017 — 6 B 639/17 -, juris Rn 23 ff; OVG NRW v. 02.04.2019 — 6 B 1708/18 -, juris Rn 15 ff).
Notwendiger Umfang und Intensität der Abweichungsbegründung richtet sich danach, aus welchem Grund Zweit- oder Endbeurteiler/innen Einzelbewertungen und Gesamtnote verschlechtert haben. Die Verschlechterung kann ihren Grund in den Leistungen der zu beurteilenden Person oder im “Quervergleich” haben (OVG NRW v. 10.07.2006 — 1 B 523/06 -, juris Rn 23 ff; OVG NRW v. 28.06.2006 — 6 B 618/06 -, juris Rn 18; OVG NRW v. 15.09.2017 — 6 B 639/17 -, juris Rn 23; OVG NRW v. 02.04.2019 — 6 B 1708/18 -, juris Rn 15):
- Geht die Zweit- oder Endbeurteilerin oder der Zweit- oder Endbeurteiler von einem schlechteren Leistungs- und Befähigungsprofil der zu beurteilenden Person aus, muss sich die Abweichungsbegründung auf die Besonderheiten des Einzelfalls beziehen (OVG NRW v. 15.09.2017 — 6 B 639/17 -, juris Rn 23). Es müssen für die Verschlechterungen konkrete Gründe genannt werden, aus denen nachvollziehbar wird, warum die Zweit- oder Endbeurteilerin oder der Zweit- oder Endbeurteiler die Wertungen in der Erstbeurteilung für nicht sachgerecht oder zu positiv bewertet hält (BVerwG v. 16.09.2004 — 1 WB 21/04 -, juris Rn 8). Dabei müssen die Verschlechterungen in der Bewertung durch Angabe von Tatsachen oder zumindest von weiteren Werturteilen plausibel gemacht werden (OVG NRW v. 10.07.2006 — 1 B 523/06 -, juris Rn 30). Eine solche Abweichungsbegründung erfordert differenzierte Kenntnisse von den Leistungen und der Befähigung der zu beurteilenden Person, über die Zweit- oder Endbeurteiler/innen in der Regel aber nicht verfügen. Sie werden daher für eine leistungsbezogene Abweichungsbegründung auf die Erkenntnisse weiterer personen- und sachkundigen Bedienstete zurückgreifen müssen.
- Zweit- oder Endbeurteiler/innen begründen als Maßstabhalter/innen für die jeweilige Vergleichsgruppe die Verschlechterungen in der Regel mit einem Hinweis auf den “Quervergleich”. Das BVerwG weist darauf hin, dass die Bildung von Vergleichsgruppen und die Anwendung der Richtsätze naturgemäß die Aufgabe der Schlusszeichnenden sei, die sämtliche Beamten/innen einer Behörde im Statusamt in den Blick zu nehmen und zu vergleichen haben. Als Abweichungsbegründung reiche für die Zweit- oder Endbeurteiler/innen insoweit der Verweis auf den “Quervergleich” aus (BVerwG v. 17.09.2020 — 2 C 2/20 -, juris Rn 40; so zuvor bereits OVG Saarland v. 29.08.1994 — 1 W 30/94 -, ZBR 1995,88; OVG Rheinland-Pfalz v. 15.09.2014 — 2 B 10647/14 -, juris Rn. 13).
Das OVG NRW unterscheidet zur Begründung der Notenabsenkung aufgrund eines “Quervergleichs” zwischen “linearer” und “nicht linearer” Absenkung der Bewertungen der Erstbeurteilung:
- Senken Zweit- oder Endbeurteiler/innen “linear” die Bewertung sämtlicher Beurteilungsmerkmale einschließlich der Gesamtnote um den gleichen Punktwert ab, dann ist ein “Quervergleich” ausreichend begründet (OVG NRW v. 22.12.2014 — 6 A 1123/14 -, juris Rn 8).
- Senken Zweit- oder Endbeurteiler/innen “nicht linear” nur die Bewertung einzelner Beurteilungsmerkmale einschließlich der Gesamtnote ab oder senken sie zwar die Bewertung aller Beurteilungsmerkmale ab, aber mit unterschiedlichen Punktwerten, dann sind die Absenkungen für die zu beurteilende Person nicht nachvollziehbar und müssen im Einzelnen ausreichend erläutert werden (OVG NRW v.19.02.2016 — 6 A 2596/14 -, juris Rn 36 ff; OVG NRW v. 15.09.2017 — 6 B 639/17 -, juris Rn 25 ff; OVG NRW v. 02.04.2019 — 6 B 1708/18 -, Rn 17 ff). Ohne Erläuterung sei nicht erkennbar, warum gerade die Bewertung der ausgewählten Merkmale geändert wurden. Die Erläuterung setze differenzierte Kenntnisse vom Leistungsbild der zu beurteilenden Person voraus. Da Zweit- oder Endbeurteilerinnen solche Kenntnisse in der Regel nicht hätten, seien sie verpflichtet, sich diese zu verschaffen.
7. Erhebliche Verschlechterung des Gesamturteils im Vergleich zur Vorbeurteilung; unerklärliche Notensprünge
Nach der Rechtsprechung des BVerwG bedürfen erhebliche Verschlechterungen des Gesamturteils der dienstlichen Beurteilung im Vergleich zu einer vorangegangenen dienstlichen Beurteilung der Begründung (BVerwG v. 21.12.2016 — 2 VR 1.16 -, Rn. 33). Ohne nachvollziehbare Begründung ist die dienstliche Beurteilung rechtsfehlerhaft. Nach dem BVerwG ist eine erhebliche Verschlechterung des Gesamturteils nur denkbar, wenn die Vorbeurteilung fehlerhaft war, sich zwischenzeitlich die Leistungen erheblich verschlechterten oder wenn generell ein neuer (strengerer) Beurteilungsmaßstab eingeführt wurde (BVerwG v. 21.12.2016 — 2 VR 1.16 -, Rn. 33). Ein Notensprung kann nicht nur bei einer unerklärlichen Verschlechterung der eigenen Beurteilung gerügt werden. Eine Rüge kommt auch bei einem unerklärlichen Notensprung nach oben in der dienstlichen Beurteilung von Konkurrenten/innen im Konkurrentenstreitverfahren um die Vergabe eines Beförderungsdienstpostens in Betracht (BVerwG v. 25.10.2011 ‑2 VR 4.11 -, juris Rn. 26).
Eine erheblich begründungsbedürftige Verschlechterung ist anzunehmen, wenn die Gesamtnote mindestens um eine ganze Notenstufe (VG Köln v. 01.08.2012 — 19 K 1221/12 -, juris Rn 27) oder um zwei Notenstufen (BVerwG v. 21.12.2016 — 2 VR 1.16 -, Rn. 33) abgesenkt wird (VG Stuttgart v. 20.08.2019 — 2 K 16559/17 -, juris Rn 38). Derartige Herabstufungen bedürfen der Begründung, weil nur so das erheblich verschlechterte Gesamturteil nachvollzogen werden kann. Die Begründung hat schon in der dienstlichen Beurteilung selbst zu erfolgen. Anders als bei nachträglich erhobenen Einwänden gegen Einzelbewertungen genügt es nicht, das Gesamturteil nachträglich zu plausibilisieren (BVerwG v. 21.12.2016 — 2 VR 1.16 -, Rn. 33, 41; VG Karlsruhe v. 06.07.2017 — 2 K 729/16 -, juris Rn 23). Der angebliche Leistungsabfall muss hinreichend konkretisiert werden. Ferner muss dargelegt werden, warum sich die weitere Diensterfahrung der zu beurteilenden Person seit der vorangegangenen Beurteilung nicht positiv auf ihr Leistungsbild ausgewirkt hat (VG Köln v. 01.08.2012 — 19 K 1221/12 -, juris Rn 26 ff). Die Begründungspflicht betrifft besonders Anlassbeurteilungen, die nach der Rechtsprechung aus der vorherigen Regelbeurteilung zu entwickeln sind. Weichen Anlassbeurteilungen von der Regelbeurteilung ab, sind die Abweichungen zu begründen (BVerwG v. 22.11.2012 — 2 VR 5/12 -, juris Rn 30).
8. Verschlechterung des Gesamturteils nach Einführung eines neuen Beurteilungsmaßstabes
Ändert sich das Beurteilungssystem und damit der Beurteilungsmaßstab im Beurteilungszeitraum nach der vorangegangenen Beurteilung, so ist die dienstliche Beurteilung nach dem am Beurteilungsstichtag geltenden neuen Beurteilungsmaßstab zu erstellen (BVerwG v. 14.02.1990 — 1 WB 181/88 -, juris Rn 6). Beurteilungen nach dem alten System können nicht mehr mit Beurteilungen nach dem neuen System verglichen werden, es ist nur ein Vergleich ist jeweils nur innerhalb des gleichen Beurteilungssystems möglich und zulässig (BVerwG v. 14.02.1990 — 1 WB 181/88 -, juris Rn 9; VGH Baden-Württemberg v. 25.09.2006 — 4 S 2087/03 -, Rn 38). Nach dem neuen System ist es möglich und zulässig, dass bei gleichbleibender Leistung eine niedrigere Gesamtnote vergeben wird, ohne dass dies eine gegen die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht verstoßende rückwirkende Verschärfung der Leistungsanforderungen darstellt (BVerwG v. 26.06.1980 — 2 C 16.09 -, juris Rn 34; VG Stuttgart v. 24.01.2019 — 14 K 12555/17, Rn 31). Eine Umrechnung von früher vergebenen Noten kann nur in Betracht kommen, wenn dies geregelt ist (VGH Baden-Württemberg v. 25.09.2006 — 4 S 2087/03 -, Rn 38; VG Stuttgart v. 20.08.2019 — 2 K 16559/17 -, juris Rn 39).
Dennoch können Verschlechterungen im Zuge der Einführung eines neuen Beurteilungssystems rechtswidrig sein:
- Der neue Maßstab muss gleichmäßig für alle zu Beurteilenden angewendet werden (BVerwG v. 26.06.1980 — 2 C 16.09 -, juris Rn 34; VGH Baden-Württemberg v. 25.09.2006 — 4 S 2087/03 -, Rn 30; VG Stuttgart v. 24.01.2019 — 14 K 12555/17, Rn 31). Ist das nicht gewährleistet, kann ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungssatz vorliegen. Das lässt sich im Einzelfall nur im Vergleich mit Beurteilungen von Beamten/innen feststellen, die ebenfalls nach dem neuen System beurteilt wurden und mit der betreffenden Person nach Amt und Aufgabengebiet vergleichbar sind (BVerwG v. 14.02.1990 — 1 WB 181/88 -, juris Rn 9).
- Bei einem Vergleich mit den Beurteilungen der potentiellen Konkurrenten/innen um einen Beförderungsdienstposten kann sich aus einer signifikanten Verschlechterung der Platzierung innerhalb der jeweiligen Vergleichsgruppe im Vergleich zur Platzierung bei der vorangegangenen Beurteilungsrunde ein Indiz für eine erhebliche begründungspflichtige materielle Verschlechterung der dienstlichen Beurteilung ergeben (VG Karlsruhe v. 06.07.2017 — 2 K 729/16 -, juris Rn. 27; VG Stuttgart v. 20.08.2019 — 2 K 16559/17 -, juris Rn 40). Ein Vergleich der Platzierung stellt eine Möglichkeit dar, um eine materielle Verschlechterung aufzudecken.
Die Einführung eines neuen Bewertungsmaßstabes entbindet nicht davon, eine erhebliche Verschlechterung des Gesamturteils zu begründen (VG Karlsruhe v. 06.07.2017 — 2 K 729/16 -, juris Rn. 31). Der Grundsatz, dass erhebliche Verschlechterungen im Gesamturteil nachvollziehbar sein müssen, gilt auch für einen derartigen Fall.
9. Verschlechterung des Gesamturteils nach einer Beförderung
Es entspricht weitverbreiteter von der Rechtsprechung gebilligter Praxis, nach einer Beförderung im Beurteilungszeitraum die Gesamtnote gegenüber der vorangegangenen Beurteilung im Beförderungsamt um eine Notenstufe abzusenken, wenn die Leistungen gleich geblieben sind, d.h. die Beamtin oder der Beamte die Leistungen im Beförderungsamt nicht gesteigert hat (u.a. OVG Sachsen-Anhalt v. 17.06.2016 — 1 M 71/16 -, juris Rn 26; OVG Lüneburg v. 09.02.2010 — 5 LB 497/07 -, juris Rn 35; OVG NRW v. 29.10.2008 — 6 B 1131/08 -, juris Rn 4; OVG NRW v. 29.07.2004 — 6 B 1212/04 -, juris Rn 18). Die Herabstufung wird damit begründet, dass die Leistungen am jeweilig innegehabten Statusamt zu messen sind und mit dem Aufstieg in ein höheres Amt höhere Anforderungen und der Wechsel in eine leistungsstärkere Vergleichsgruppe verbunden ist. Die Leistungen im Beurteilungszeitraum, in den die Beförderung fällt, werden nach dem Maßstab des am Beurteilungsstichtag innegehabten höheren Statusamtes gemessen; es findet kein Beurteilungssplitting statt (BVerwG v. 26.08.1993 — 2 C 37.91 -, juris Rn 13; OVG Lüneburg v. 09.02.2010 — 5 LB 497/07 -, juris Rn 34). In der dienstlichen Beurteilung muss nicht nur der Beurteilungszeitraum, sondern auch der Zeitpunkt der Beförderung aufgeführt werden (BVerwG v. 26.08.1993 — 2 C 37.91 -, juris Rn 12).
Das BVerwG hat die Beförderung im Beurteilungszeitraum nicht als einen möglichen Anlass für eine erhebliche Verschlechterung des Gesamturteils aufgeführt (BVerwG v. 21.12.2016 — 2 VR 1.16 -, Rn. 33). In einer früheren Entscheidung hat das BVerwG die Möglichkeit der Verschlechterung der Gesamtnote wegen einer Beförderung im Beurteilungszeitraum gesehen. Das BVerwG hat eine solche Vorgehensweise aber davon abhängig gemacht, dass die Beurteilungsrichtlinie und die Beurteilungspraxis ein solches Verfahren vorsehen (BVerwG v. 11.12.2008 — 2 A 7.07 -, juris Rn 27). Außerdem darf nach der Rechtsprechung ein solches Verfahren nicht schematisch ohne Rücksicht auf die Besonderheiten des Einzelfalles angewandt werden.
Daraus ergibt sich, dass unter folgenden Umständen von der Rechtswidrigkeit der Herabsetzung einer Gesamtnote, die mit einer Beförderung im Beurteilungszeitraum begründet wird, auszugehen ist:
- In der Behörde fehlt es an einer Regelung oder einer Beurteilungspraxis für ein solches Verfahren.
- Es besteht zwar eine entsprechende Beurteilungspraxis; diese wird aber in der Vergleichsgruppe nicht einheitlich und gleichmäßig angewandt, so dass ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot vorliegt.
- Die Rechtsvermutung, dass eine Beförderung im Beurteilungszeitraum eine Herabsetzung der Gesamtnote auslöst, wenn die Leistungen im Beförderungsamt nicht gesteigert wurden, wird im Einzelfall widerlegt. Das heißt, die Prüfung im Einzelfall ergibt, dass die Rechtsvermutung aufgrund besonderer Umstände nicht zutrifft (OVG Saarland v. 26.07.2007 — 1 B 304/07 -, juris Rn 12).
Es ist unerlässlich, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Regelvermutung zutrifft oder nicht. Die Einzelfallprüfung kann ergeben, dass dienstliche Leistungen, die im niederrangigen Amt mit einer Spitzennote beurteilt wurden, auch nach der Beförderung im ranghöheren Amt überdurchschnittlich sind oder sogar das Spitzenniveau erreichen, weil die beurteilte Person im niederrangigen Amt ihr Leistungs- und Befähigungspotential noch nicht voll ausgeschöpft hatte (VG Frankfurt v. 17.02.2016 — 2 K 1254/13 -, juris Rn 33). In einem solchen Fall wäre eine schematische Herabsetzung der Gesamtnote rechtswidrig. Das gilt für alle Fälle, in denen Beamte/innen ihre bisherigen Leistungen im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG im Beförderungsamt gesteigert haben. Zudem ist zu berücksichtigen, dass z.B. Beförderungen im mittleren Dienst in der Regel gerade nicht mit Aufgabenwechsel verbunden sind, die eine Einarbeitungsphase und damit einen Neuanfang erfordern (VG Frankfurt v. 17.02.2016 — 2 K 1254/13 -, juris Rn 33). Das gilt in gleicher Weise für Beförderungen auf gebündelten Dienstposten aller Laufbahngruppen, d.h. auf Dienstposten, die mehreren Besoldungsgruppen zugeordnet sind (sog. Topfwirtschaft im dienstrechtlichen Sinne).
Auch die Beurteilungspraxis selbst kann wegen Verletzung des Gleichheitssatzes rechtlich angreifbar sein. In einem dem OVG NRW vorgelegten Fall, war es gängige Praxis, Beamte/innen bei ihrer erstmaligen Beurteilung im Beförderungsamt schematisch mit der Durchschnittsnote zu beurteilen, ohne zu unterscheiden, ob sie zuvor im rangniedrigerem Amt eine Spitzenbeurteilung erhalten hatten oder nur durchschnittlich beurteilt worden waren (OVG NRW v. 29.10.2008 — 6 B 1131/08 -, juris Rn. 4 f). Das führte in dem dem OVG NRW vorgelegten Fall zu einer Herabstufung einer Spitzenbeurteilung um zwei Notenstufen, was vom OVG NRW als nicht nachvollziehbar und rechtlich zweifelhaft bezeichnet wurde.
10. Anlass- oder Bedarfsbeurteilungen ohne Anlass (Bedarf) oder ohne Fortentwicklungscharakter
Anlass- oder Bedarfsbeurteilungen sind dienstliche Beurteilungen, die nicht wie Regelbeurteilungen turnusmäßig zu einem bestimmten Stichtag, sondern zu einem bestimmten Anlass wie z.B. zu einer Auswahlentscheidung, einer Beförderungsentscheidung oder einer Versetzung erstellt werden.
Anlassbeurteilungen sind rechtsfehlerhaft, wenn
- für ihre Erstellung kein ausreichender Anlass besteht oder
- sie nicht aus der letzten Regelbeurteilung entwickelt wurden.(fehlender Fortentwicklungscharakter).
Die Frage, ob eine Anlassbeurteilung zu Recht erstellt wurde, stellt sich besonders in Auswahlverfahren in Bezug auf Mitbewerberinnen oder Mitbewerber und ist in Konkurrentenstreitverfahren relevant. Grundsätzlich dienen Regelbeurteilungen dazu, Auswahl-oder Beförderungsentscheidungen zwischen mehreren Bewerberinnen und Bewerben zu treffen. Anlassbeurteilungen sind nur im Ausnahmefall zu erstellen, “wenn die dienstlichen oder persönlichen Verhältnisse” es erfordern (vgl. § 48 Abs. 1 Bundeslaufbahnverordnung (BLV) für die Bundesverwaltung). Ein Regelbeurteilungssystem darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass eine Verwaltung im Rahmen eines Auswahlverfahrens trotz des Vorliegens einer hinreichend aktuellen Regelbeurteilung ohne ausreichenden Grund Anlassbeurteilungen erstellt (BVerwG v. 02.07.2020 — 2 A 6/19 -, juris Rn 12). Regelbeurteilungssysteme dürfen nicht durch Anlassbeurteilungen entwertet werden (BVerwG v. 09.05.2019 — 2 C 1/18 -, juris Rn 45).
Nach der Rechtsprechung (vgl. BVerwG v. 09.05.2019 — 2 C 1/18 -, juris Rn 42; OVG Sachsen ‑Anhalt v. 27.04.2020 — 1 M 44/20 -, juris Rn 23 ff) besteht ein “unabweisbarer Bedarf” für die Erstellung einer Anlassbeurteilung nur bei “Anlässen und Konstellationen”, bei denen in einer Auswahlentscheidung ein Bewerbervergleich sonst nicht möglich wäre:
- Beim Fehlen einer hinreichend aktuellen Regelbeurteilung. Eine Regelbeurteilung ist hinreichend aktuell, wenn der Beurteilungsstichtag höchstens drei Jahre vor dem Zeitpunkt der Auswahlentscheidung liegt (BVerwG v. 09.05.2019 — 2 C 1/18 -, juris Rn 34; § 22 Abs. 1 Satz 2 Bundesbeamtengesetz (BBG); § 48 Abs. 1 Alt. 1 BLV). Sofern Bewerberinnen oder Bewerber z.B. aus Altersgründen nicht mehr der Regelbeurteilungspflicht unterliegen und ihre letzte Regelbeurteilung mehr als drei Jahre zurückliegt, liegt ein Bedarf für eine Anlassbeurteilung vor (BVerwG v. 07.01.2021 — 2 VR 4.20 -, juris Rn 46 ff).
- Für Bewerberinnen oder Bewerber, die nach der letzten Regelbeurteilung befördert wurden und die eine erneute Beförderung anstreben.
- Für Bewerberinnen oder Bewerber nach oder vor einer Versetzung.
- Für Bewerberinnen oder Bewerber, die erst nach der letzten Regelbeurteilung die laufbahnrechtliche Erprobungszeit (§ 34 BLV) auf dem höherwertigen Dienstposten absolviert und damit die Beförderungsreife erlangt haben (BVerwG v. 22.11.2012 — 2 VR 5/12 -, juris Rn 29).
- Für Bewerberinnen oder Bewerber, die nach dem Stichtag der letzten Regelbeurteilung “während eines erheblichen Zeitraums wesentlich andere Aufgaben” wahrgenommen haben (BVerwG v. 09.05.2019 — 2 C 1/18 -, juris Rn 49, 54 f; OVG Sachsen ‑Anhalt v. 27.04.2020 — 1 M 44/20 -, juris Rn 23 ff; BVerwG v. 02.07.2020 — 2 A 6/19 -, juris Rn 12; BVerwG v. 07.01.2021 — 2 VR 4.20 -, juris Rn 43).
Nach der Rechtsprechung liegt “eine wesentlich andere Tätigkeit”, die eine Anlassbeurteilung erfordert, unter folgenden Voraussetzungen vor:
- Sie muss während des (deutlich) überwiegenden Teils, d.h. zu zwei Drittel des Beurteilungszeitraums wahrgenommen worden sein (sog. Zwei-Drittel-Regelung); d.h. bei einem dreijährigen Beurteilungszeitraum also während eines Zeitraums von mindestens zwei Jahren.
- Sie muss einem anderen höherwertigen Statusamt mit anderer Besoldungsgruppe oder einem Statusamt, dass einer anderen Laufbahn zugehört, zuzuordnen sein.
Liegt keiner der genannten Anlässe für die Erstellung einer Anlassbeurteilung vor, so ist eine Anlassbeurteilung rechtswidrig und darf einer Auswahlentscheidung nicht zugrunde gelegt werden (BVerwG v. 07.01.2021 — 2 VR 4.20 -, juris Rn 45; OVG Sachsen ‑Anhalt v. 27.04.2020 — 1 M 44/20 -, juris Rn 21).
Muss für eine Bewerberin oder einen Bewerber eines Auswahlverfahrens eine Anlassbeurteilung aus einem der oben genannten Gründen erstellt werden, so hat dies nicht zur Folge, dass für Mitbewerberinnen oder Mitbewerber, bei denen keine relevanten Veränderungen eingetreten sind, ebenfalls Anlassbeurteilungen zu erstellen sind (BVerwG v. 09.05.2019 — 2 C 1/18 -, juris Rn 61; BVerwG v. 02.07.2020 — 2 A 6/19 -, juris Rn 12; BVerwG v. 07.01.2021 — 2 VR 4.20 -, juris Rn 44). Vielmehr ist die Frage, ob ein Aktualisierungsbedarf vorliegt, für jede Bewerberin oder jeden Bewerber gesondert zu betrachten.
Da Anlassbeurteilungen meist für anstehende Auswahl- und Beförderungsentscheidungen angefertigt werden, besteht die Gefahr, dass Verwaltungen sie zur Durchsetzung von vorgefassten, Art. 33 Abs. 2 GG nicht genügenden Personalentscheidungen zu nutzen versuchen (BVerwG v. 09.05.2019 — 2 C 1/18 -, juris Rn 41; BVerwG v. 02.07.2020 — 2 A 6/19 -, juris Rn 11; OVG Saarland v. 26.10.2012 — 1 B 219/12 -, juris Rn 33; OVG Bremen v. 23.01.2013 — 2 A 308/11 -, juris Rn 38). Um dieser Gefahr zu begegnen, verlangt die Rechtsprechung, dass eine Anlassbeurteilung die vorangegangene Regelbeurteilung lediglich fortentwickeln darf (Fortentwicklungscharakter einer Anlassbeurteilung). Anlassbeurteilungen, die von den vorherigen Regelbeurteilungen stark abweichen, ohne dass dies nachvollziehbar und ausreichend begründet ist, sind fehlerhaft (BVerwG v. 22.11.2012 — 2 VR 5/12 -, Rn. 30 f., BVerwGE 145, 112; BVerwG v. 09.05.2019 — 2 C 1/18 -, juris Rn 41; BVerwG v. 02.07.2020 — 2 A 6/19 -, juris Rn 11). Das heißt:
- Anlassbeurteilungen, die einen deutlich kürzeren Zeitraum als die Regelbeurteilungen abbilden, müssen aus den Regelbeurteilungen entwickelt werden. Sie dürfen diese lediglich fortentwickeln. Eine Anlassbeurteilung hat im Wesentlichen aufzuzeigen, inwieweit bei einzelnen Feststellungen und Bewertungen Veränderungen gegenüber der Regelbeurteilung zu verzeichnen sind. Je kürzer der Zeitraum zwischen Regel- und Anlassbeurteilung ist und je größer der Leistungssprung oder der Leistungsabfall ausfällt, desto mehr trifft die Beurteilerin oder den Beurteiler die Pflicht, dies zu begründen und ggf. zu plausibilisieren (BVerwG v. 02.07.2020 — 2 A 6/19 -, juris Rn 11).
- Weicht das Notengefüge der Anlassbeurteilungen deutlich von demjenigen der Regelbeurteilungen ab, ist dies ein Indiz für das Fehlen des erforderlichen Fortentwicklungscharakters und einer an sachfremden Gesichtspunkten orientierten Beurteilungspraxis mit der Folge der Fehlerhaftigkeit. Das bedeutet auch, dass die bei der Erstellung von Regelbeurteilungen zu beachtende Richtwerte bei der Vergabe von Spitzenbeurteilungen sich auch auf Anlassbeurteilungen auswirken, selbst wenn für die Anlassbeurteilungen die Richtwerte nicht gelten.
11. Fehlende Plausibilität zwischen Gesamtbewertung und Einzelbewertungen
Dienstliche Beurteilungen, deren Gesamtbewertung in unlösbarem Widerspruch zu den Einzelbewertungen steht, sind wegen fehlender Plausibilität fehlerhaft (OVG Nordrhein-Westfalen v. 29.8.2001 — 6 A 2967/00 -, Rn. 44 ff., openJur 2011, 16637).
- Das allgemein anerkannte Gebot der Plausibilität dienstlicher Beurteilungen verlangt zwar nicht, dass Leistungs- und Befähigungsbewertungen als zwingendes Produkt der Benotungen ihnen nachgeordneter Einzelkriterien erscheinen. Liegen aber zwischen den Bewertungen der Untermerkmale und des Hauptmerkmals mehr als eine Notenstufe, lässt sich das nicht mehr ohne weiteres erklären.
12. Verstoß gegen die Beurteilungsfreiheit der Beurteilerin oder des Beurteilers
Dienstliche Beurteilungen sind fehlerhaft, wenn die zuständigen Beurteilerinnen und Beurteiler entgegen dem Grundsatz der Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit hinsichtlich der Rangfolge, der Gesamtbewertung und des Verwendungsvorschlags an Vorgaben gebunden werden (OVG Rheinland-Pfalz v. 13.5.2014 — 2 A 10637/13 OVG -, DÖD 2014, 251).
- Beurteilerinnen und Beurteiler haben die Gesamtbewertung aus einer Bewertung der einzelnen Beurteilungsmerkmale zu treffen. Wird die Gesamtbewertung stattdessen nur noch unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit mit einer zuvor festgelegten Rangfolge getroffen, ist dies fehlerhaft.
- Abstimmungsgespräche zwischen Beurteilerinnen und Beurteiler und dabei festgelegte statusbezogene Leistungsreihungen sind grundsätzlich zulässig. Dies darf aber nicht zu einer faktischen Bindung der Beurteilerin oder des Beurteilers an das Ergebnis einer Beurteilerkonferenz führen. Unzulässig ist eine inhaltlich bis ins Einzelne gehende Vorwegnahme der Beurteilungsergebnisse.
13. Unzulässige Beeinflussung durch die Vorgabe von Richtwerten (Quotenopfer)
Dienstliche Beurteilungen, deren Gesamtbewertung ihre Ursache allein in der Orientierung an den Richtwertvorgaben haben, sind fehlerhaft (OVG Rheinland-Pfalz v. 13.5.2014 — 2 A 10637/13 OVG -, DÖD 2014, 251). Beurteilungen müssen den wirklichen Leistungsstand wiederspiegeln. Herabstufungen lassen sich nicht mit der Einhaltung der Richtwerte, sondern ausschließlich mit leistungsbezogenen Gesichtspunkten begründen.
- Die Bestimmung von Richtwerten(Quotenregelung) für die Vergabe von Noten ist nach ständiger Rechtsprechung in hinreichend großen Verwaltungsbereichen zulässig und stellt keinen unzulässigen Eingriff in die Beurteilungsfreiheit dar (vgl. § 50 Abs. 2 Bundeslaufbahnverordnung (BLV)). Aufgrund der Einzelfallgerechtigkeit müssen aber geringfügige Über- oder Unterschreitungen der Prozentsätze möglich sein (BVerwG v. 11.12.2008 — 2 A 7.07 -, Rn. 35, DÖV 2009, 503). Dementsprechend ist nach § 50 Abs. 2 S. 2 BLV eine Überschreitung bis zu fünf Prozentpunkte möglich. Richtwerte dürfen im Einzelfall die Zuordnung der zutreffenden Gesamtnote nach den Grundsätzen des Art. 33 Abs. 2 GG nicht verhindern.
- Setzt der Dienstherr vorgegebene Quoten in seinem Bereich punktgenau oder annähernd punktgenau um, ist er verpflichtet, die Leistungsgesamtbewertung bei einer oder einem der Richtwertvorgabe möglicherweise unterfallenden Beschäftigten plausibel zu machen.
- Soweit der Dienstherr in seinem Bereich Abweichungen von den Richtwerten praktiziert, wird der Nachweis, ein „Quotenopfer“, d.h. ein Opfer einer punktgenauen Umsetzung der vorgegebenen Quote zu sein, jedoch schwierig werden. Je weiter sich der Dienstherr von den Richtwerten entfernt hat, je substantiierter muss die Beurteilte oder der Beurteilte darlegen und beweisen, dass trotz Abweichung von der Quote die dienstliche Beurteilung nicht den wirklichen Leistungsstand wiederspiegelt (OVG Rheinland-Pfalz v. 13.5.2014 — 2 A 10637/13 OVG -, DÖD 2014, 251).
14. Voreingenommenheit der Beurteilerin oder des Beurteilers
Dienstliche Beurteilungen, die ein befangener oder voreingenommener Vorgesetzter erstellt hat, sind fehlerhaft (BVerwG v. 23.9.2004 — 2 A 8.03 — Rn. 22 ff.). Das gilt auch in Fällen, in denen sich die Beurteilerin oder der Beurteiler der Hilfe befangener oder voreingenommener Fachvorgesetzter bedient hat.
- Beamtinnen und Beamte können beanspruchen, dass der Dienstherr sie gerecht, unvoreingenommen und möglichst objektiv beurteilt (BVerwG v. 16.10.2008 — 2 A 9.07 -, Rn. 39, BVerwGE 132, 110). Ist eine dienstliche Beurteilung durch Voreingenommenheit der Beurteilerin oder des Beurteilers beeinflusst, so ist dieser Anspruch nicht erfüllt und der Dienstherr zur erneuten Beurteilung verpflichtet.
- Entscheidend ist nicht die aus Sicht der oder des Beurteilten begründete Besorgnis der Voreingenommenheit, sondern die aus der Sicht eines objektiven Dritten festzustellende Voreingenommenheit. Die Voreingenommenheit kann sich aus der Beurteilung selbst oder aus dem Verhalten der Beurteilerin oder des Beurteilers in Angelegenheiten der zu beurteilenden Person oder dieser gegenüber ergeben.
- Voreingenommenheit liegt vor, wenn die Beurteilerin oder der Beurteiler nicht Willens oder nicht in der Lage ist, die Beurteilte oder den Beurteilten sachlich oder gerecht zu beurteilen. Gründe für eine Voreingenommenheit können verifizierbare Aversionen oder ernstzunehmende unsachliche oder ehrverletzende Äußerungen sein. Kritik an der Arbeitsweise oder eine kritische Einschätzung des dienstlichen Verhaltens sowie Streitigkeiten reichen nicht aus, es sei denn, es ist dadurch zu einer nachhaltigen und fortwirkenden Störung des zwischenmenschlichen Verhältnisses gekommen.
15. Unzureichende Berücksichtigung der Schwerbehinderteneigenschaft
Dienstliche Beurteilungen von schwerbehinderten Beschäftigten sind fehlerhaft, wenn eine etwaige Einschränkung der Arbeit- und Verwendungsfähigkeit wegen der Behinderung bei der Bewertung einzelner Leistungsmerkmale offensichtlich nicht hinreichend berücksichtigt wurde (vgl. § 5 Abs. 3 BLV; VG Göttingen v. 24.6.2009 — 3 B 135/09 -, Rn. 35 ff., openJur 2012, 49204).
- Die durch die Schwerbehinderung verursachte Minderung der Arbeits- und Verwendungsmöglichkeit einer oder eines schwerbehinderten Beschäftigten muss bei der Bewertung der einzelnen Leistungsmerkmale angemessen berücksichtigt werden. Die Schwerbehinderung ist insbesondere bei den Merkmalen des quantitativen Maßes der geleisteten Arbeit unter Berücksichtigung des Zeitfaktors und der psychischen und physischen Belastbarkeit zu berücksichtigen.
- Schreiben Beurteilungsrichtlinien z.B. unter Bezug auf Schwerbehindertenrichtlinien vor, dass im Rahmen der dienstlichen Beurteilung ein Vermerk über Art und Umfang der Berücksichtigung einer behinderungsbedingten Minderung der Arbeits- und Verwendungsfähigkeit zu erstellen ist, ist eine dienstliche Beurteilung ohne einen solchen Vermerk fehlerhaft.